„Politik mit solidarischen Komponenten reicht nicht mehr“

Von Christina Schröder · · 2024/Sep-Okt
© Thomas Kussin

Darüber, was Österreich und die EU als entwicklungspolitische Akteure bewirken können, spricht Lukas Wank, Geschäftsführer des NGO-Dachverbands Globale Verantwortung.

Was hat die gerade noch aktuelle Bundesregierung im Bereich der Entwicklungzusammenarbeit (EZA) und humanitären Hilfe in den vergangenen Jahren erreicht?

Die Regierungskonstellation war insofern hilfreich, als die Grünen die ÖVP immer wieder auf die Beachtung von ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsthemen gedrängt haben und sie dabei auch teilweise auf fruchtbaren Boden gestoßen sind. Man muss aber zwischen quantitativen und qualitativen Erfolgen unterscheiden und diese dann im Zusammenspiel bewerten.

Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Machten die öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen Österreichs 2019 vor Koalitionsbeginn 0,28 Prozent des Bruttonationaleinkommens aus, waren es 2023 immerhin 0,38 Prozent. Diese umfassen unter anderem Ausgaben für EZA und humanitäre Hilfe. Letztere hatte ebenfalls Aufstockungen zu verzeichnen, etwa in zweistelliger Millionenhöhe für das World Food Programme. Das ist zwar ein großer Sprung für österreichische Verhältnisse, aber Kleingeld im internationalen Vergleich. Die OECD-Staaten haben sich zu jährlich 0,7 Prozent verpflichtet. Während viele vergleichbare Länder dieses Ziel längst übererfüllen, hat es Österreich noch nie erreicht.

Steht das nicht im Regierungsprogramm?

Ja, die aktuelle Koalition hat sich sogar dazu bekannt. Doch es wurde nichts getan, um eine schrittweise Erhöhung abzusichern. Die österreichischen Organisationen können somit nicht auf die Finanzierung langfristiger Maßnahmen setzen. Stattdessen bleiben die Aufstockungen der vergangenen Jahre hinter dem Bedarf zurück und Österreichs EZA und humanitäre Hilfe chronisch unterfinanziert.

Abgesehen von diesen Geldern, was wurde versprochen und nicht umgesetzt?

Säumig ist die Bundesregierung beispielsweise bei der Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich Friedenspolitik oder beim Friedensdienst, sowie bei der Ausarbeitung eines nationalen Aktionsplans für Menschenrechte. Es gab da nur einzelne Initiativen, etwa die Menschenrechtskonferenz Vienna+30. Und: Trotz Zusage der Prüfung menschenrechtlicher Standards in transnationalen Lieferketten gab es auf EU-Ebene ein österreichisches Nein für das EU-Lieferkettengesetz! In strategischer Hinsicht könnte Österreich durch eine Verbreiterung der Außenpolitik um entwicklungspolitische Anliegen viel Gestaltungsspielraum gewinnen.

Und wo steht Europa mit seiner Entwicklungspolitik?

In manchen Mitgliedsstaaten ist sogar ein Rückgang der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen zu beobachten. In Deutschland, das schon vor vielen Jahren die 0,7 Prozent-Quote erreicht hat, gibt es Budgetdebatten zu Kürzungen und auch in den skandinavischen Ländern scheint es nach Rechtsrucken in den Regierungen in diese Richtung zu gehen. Das Resultat: Der so genannte Funding Gap – also der Unterschied zwischen geplanten Investitionen und real getätigten – auf Ebene der europäischen EZA wird immer größer: 2023 wurde er mit 40 Prozent beziffert, Tendenz steigend. 

Europa hat im Juni gewählt. Was ist nach der Wahl für die EZA zu erwarten?

Laut einem kürzlich geleakten Briefing plant die für EZA zuständige Generaldirektion der EU-Kommission vorrangig in wirtschaftliche Interessen in geopolitisch relevanten Regionen zu investieren, zum Beispiel in Infrastrukturprojekte in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern. Diese Strategie mag zwar zur wirtschaftlichen Sicherheit der EU beitragen, aber sie wirkt einer partizipativen und kohärenten Außenpolitik entgegen. Es macht einen großen Unterschied für das Ansehen Europas und der Mitgliedsstaaten, wenn alles auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgerichtet wird und Fragen der sozialen Entwicklung weni-ger behandelt werden. Letztlich geht es auch darum, welches Signal wir als Europa in Zeiten eines geopolitischen Wettbewerbs an Partner in Ländern des Globalen Südens senden wollen.

Welche Ziele wären im Bereich EZA und humanitärer Hilfe besonders wichtig zu erreichen?

Angesichts der komplexen Krisen, vor denen die Weltbevölkerung und ihre Regierungen stehen, braucht es mehr Stabilität und dafür kann auch die Entwicklungspolitik sorgen. Die EU hat eine geopolitische Stärke und diese in anderen Bereichen, etwa mit der Datenschutz-Grundverordnung, schon gezeigt. Sie hat mit den Beschlüssen der Entwaldungsverordnung oder dem Lieferkettengesetz auch weitere wichtige Maßnahmen etabliert, die jetzt umgesetzt werden müssen. Wenn sie allerdings im Bereich der Außenpolitik vorrangig auf Sicherheit und Verteidigung fokussiert und im Bereich Migration Mauern baut, dann werden humanitäre Krisengebiete verschoben und nicht die Ursachen humanitärer Notlagen behoben, die die eigentlichen Herausforderungen sind.

Gut vernetzt

Der Dachverband Globale Verantwortung – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe (AGGV) – vertritt national und international die Interessen von 36 österreichischen Nichtregierungsorganisationen, die in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, entwicklungspolitische Inlandsarbeit, humanitäre Hilfe sowie nachhaltige globale wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung tätig sind.
Rechtzeitig vor der Nationalratswahl wird die AGGV die Wahlprogramme der antretenden Parteien auf ihre entwicklungspolitischen Pläne untersuchen und die Ergebnisse auf globaleverantwortung.at veröffentlichen.

Was wurde denn in Österreich im Bereich der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN, der SDGs, weitergebracht?

Anzuerkennen ist die gesamtstaatliche Zusammenarbeit der österreichischen Verwaltung, zum Beispiel im Zuge des Freiwilligen Nationalen Berichts zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Im Sommer 2024 wurde schon der zweite seiner Art in New York präsentiert. Er war weltweit der einzige, der eine qualitative und quantitative Messung beinhaltet und diese statistisch untermauert. Doch auch hier gibt es ein großes Aber.

Warum das große Aber?

Österreich kam 2024 auf Platz sechs, obwohl es laut Bericht erst SDG 1, keine Armut, erreicht hat. Ein Ergebnis, das nur im internationalen Vergleich standhält, da Österreich weit davon entfernt ist, Armut tatsächlich beseitigt zu haben. Im Jahr 2023 lebten laut Statistik Austria 3,7 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung in Armut. Und Österreich schneidet im Hinblick auf SDG 12, verantwortungsvoller Konsum- und Produktionsmuster, sowie SDG 13, Maßnahmen zum Klimaschutz, insbesondere wegen hoher CO2-Emissionen, schlecht ab. Wie andere Länder mit hohen Einkommen, die im SDG-Ranking tendenziell gut dastehen, nimmt Österreich deswegen einen der letzten Plätze im Spillover-Ranking ein.

© Christina Schröder / SWM

Was bedeutet das genau?

Sogenannte Spillover-Effekte entstehen zum Beispiel durch die Inkaufnahme schlechter Arbeitsstandards entlang internationaler Lieferketten, eine hohe Nachfrage nach Rohstoffen, deren Anbau problematisch ist, wie etwa Palmöl, sowie die Auslagerung emissionsintensiver Produktionsprozesse, wie die der globalisierten Textil- und Bekleidungsindustrie. Österreich belegt Platz 151 von 167! Und hier wären wir wieder bei der lückenlosen Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes, für das wir uns als AG Globale Verantwortung einsetzen.

Was sind Ihre Forderungen an die nächste Regierung?

Zusammengefasst: Politische Entscheidungen und Maßnahmen im Interesse nachhaltiger Entwicklung zu treffen. Im Einzelnen: Die Sicherstellung bedarfsgerechter humanitärer Hilfe, eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, zusätzliche Mittel und kohärente Strategien für die österreichische Entwicklungspolitik, die Priorisierung von Klimagerechtigkeit und die Förderung von demokratiepolitischen und zivilgesellschaftlichen Strukturen und Initiativen.

Inwiefern ist das ausschlaggebend für alle, die hier leben?

Ob Klimaerhitzung, Armut, Überschuldung, Probleme im Gesundheits- oder Pensionssystem oder mit der Migration, wir alle brauchen Lösungen dafür. Die globale Krisenlandschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend komplexer. Einzelnen Krisenherden isoliert zu begegnen, hilft nicht mehr, Politik mit solidarischen Komponenten zu betreiben auch nicht. Zukünftige Politiker:innen brauchen Mut, Kalkül, Professionalität und Commitment, langfristige Strategien zu planen und neue Wege zu beschreiten, um sich nicht nur temporär Probleme vom Hals zu halten, sondern Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Wir als entwicklungspolitischer Dachverband stehen den zukünftigen Politiker:innen mit Rat und Tat zur Seite und hoffen, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen werden.

Interview: Christina Schröder

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